Interview #1 - Mädchen in Aktion

26. Juni 2019 | von Barbara | Berlin
explore

explore - Offene Werkstatt für alle! - das sind sieben Teams, die ausgewählt wurden, um Ihre Idee von Jugendarbeit in Offenen Werkstätten auszuprobieren. Jede Idee ist anders, mit unterschiedlicher Zielsetzung und Ausgangssituation. Wir stellen Euch jedes Team und seine Idee in einem Projektinterview vor. Den Auftakt machen Marlen Berg und Franziska Reifenstein gemeinsam mit den Mädchen in Aktion (Video!) aus Cottbus.

Seit wann gibt es das Frauenzentrum Cottbus?
Das Frauenzentrum Cottbus e.V. ist 1990 gegründet worden und hat sich der mädchen- und frauenpolitischen Arbeit verpflichtet. Das Mädchenprojekt wurde ein Jahr später ins Leben gerufen.

Aus welchem Kontext heraus ist die „Lila Villa“ entstanden?
Das Anliegen der Vereinsfrauen war gleichstellungspolitisch bestimmt. Nach der Wende ging es um die Verbesserung der Rolle von Mädchen und Frauen; um Vielfalt, Stärkenausbau, Chancengleichzeit...

Was war der Anstoß, 2016 mit dem Aufbau der Werkstatt zu beginnen? Gab es Vorbilder, andere Werkstätten, von denen Ihr Euch habt inspirieren lassen?
Gezielt haben wir nicht von anderen Werkstätten gehört; also nicht in unserem Umfeld. Der Anstoß war praktisch und mädchenpolitisch bestimmt, dahinter stand der Wunsch eine Offene Werkstatt für Mädchen und Frauen aufzubauen. Wir wollten eine Form von geschlechterreflektierender Berufsorientierung schaffen. Zudem verfolgen wir einen Stärkenansatz – Mädchen und junge Frauen sollen wissen, wie großartig sie sind und sich praktisch an analoge, handwerkliche Bereiche herantrauen. Sich selbst zu befähigen und in der Gemeinschaft zu agieren, waren wichtige Ziele. Natürlich sind DIY-Trends auch Einflussfaktoren gewesen.

Wart ihr beide oder eine von Euch bereits in der Anfangsphase dabei?
Marlen hat die Gründung mit ihrer damaligen Kollegin begleitet. Wir hatten ein Mikroprojekt über ein paar 100 Euro beantragt. Dann haben wir im Keller einen kleinen Raum entrümpelt und mit Hilfe von Ehrenamtlichen dort eine Werkstatt geschaffen, Materialien und Maschinen besorgt. Franzi kam 2017 dazu und ab da konnten wir über das gleichstellungspolitische Rahmenprogramm des Landes Brandenburg insgesamt ca. 18.000 Euro in den Ausbau der Werkstatt, in Kurse, die Konzeption der Wanderausstellung, den Dreh von DIY-Clips, Honorare und die Anfertigung von Büchern stecken. Wir sind die jüngsten Vereinsfrauen und unsere Leidenschaft für die Ideen und Möglichkeiten von Werkstätten sind der Impuls für den Erhalt. Mittlerweile unterstützen uns auch die Girls und Ehrenamtliche.

Kommen/kamen Mädchen über einen längeren Zeitraum zu Euch in die Werkstatt?
Ja, es kommen junge Frauen wegen der Angebote und auch wegen uns durchaus über Jahre hinweg immer wieder. Die Arbeit in der Werkstatt ist auch pädagogische Arbeit, Beziehungsarbeit. Mädchen und Frauen schätzen Empathie, Interesse und neben dem Bauen, Schaffen und Kreieren finden biografische, soziale und generelle Aufarbeitungsprozesse statt. Wir haben ca. 40 „Dauernutzerinnen“.

Man kann bei Euch Praktika machen. Sind das Schülerpraktika oder richtet sich das auch an Studierende (wenn ja: welche Fächer)?
Schülerinnen, Auszubildende oder Studentinnen können bei uns Praktika machen: In der Sozialen Arbeit, der Erzieherinnenausbildung, in Diversity- und Gender Studies.

Worin seht Ihr das größte Potenzial der Arbeit mit Jugendlichen im Allgemeinen und speziell mit Mädchen in Offenen Werkstätten?
Die Mädchen entwickeln neue Selbstbilder, Stärke und Stolz. Es ist eine andere Möglichkeit der Bildung und der Entwicklung von Fähigkeiten. Bauen, Machen oder Ausprobieren - für sich selbst oder andere - schafft eine tolle Möglichkeit der Beteiligung. Im Gegensatz zur Schule sind Offene Werkstätten freier, ungezwungener und ein kreativer Raum voller Vielfalt und Kultur, dazu generationenübergreifend. Jugendliche sind da noch ganz offen und unbefangen und recht schnell zu begeistern. Gleichzeitig lassen sich hier Stereotype, Rollen- und Berufsbilder aufbrechen und man schafft neue Visionen von Lebenswegen.

Euer Eindruck: Was macht das Selbermachen mit den Mädchen?
Sie sind schnell sehr stolz auf sich. Sie gehen häufig kritisch an die Dinge heran, aber dann erfahren sie (unsere) Anerkennung und sehen, dass sie erstmal gar nichts falsch machen können. Der erste Schritt, Mut und dann das Miteinander schaffen schlichtweg eine tolle Erfahrung.

Und das sagen die Nutzerinnen:

Was sind Eure Hauptaktivitäten, die durch die explore-Förderung möglich wurden?
Wir konnten neue kostenlose Kurse durchführen: Siebdruck, Betonbau. Zudem konnten wir überarbeitete Versionen unseres DIY-Buchs und des Kalenders drucken.

Plant Ihr weitere DIY-Aktivitäten für die Werkstatt, die Ihr noch nicht im Angebot habt?
In diesem Jahr haben wir Siebdruck ausprobiert und entwickeln uns da noch weiter. Außerdem war die Arbeit mit Beton wirklich toll. 3D-Druck wäre eine Möglichkeit, aber dazu müssen wir uns selbst noch fit machen und gehen zum Austausch ggf. auch auf erfahrene Werkstätten zu.  Außerdem würden wir gerne eine Pflanzentauschbörse organisieren; aber da sind gegenwärtig unsere zeitlichen Ressourcen erschöpft.

Was wünscht Ihr Euch zukünftig für die Werkstatt?
Eine dauerhafte Personalstelle oder Honorarkraft zur Unterstützung  wäre wünschenswert, zudem eine gesicherte materielle Ausstattung. Dann wäre eine nicht durch uns begleitete PR toll. Größere und mehr Räume wären auch super. Darüber hinaus die Verankerung der Großartigkeit und Notwendigkeit von Offenen Werkstätten in den Köpfen der Menschen hier in Cottbus.

Welches Handwerk/DIY-Aktivität würdet Ihr persönlich gerne ausprobieren?
Uns reizt 3D-Druck oder beispielsweise ein Tisch mit einer Hypoxidplatte und eingegossenen Gegenständen.

Persönlicher Gegenstand, den Ihr am häufigsten repariert habt/oder liebster Gegenstand, den Ihr selbst angefertigt habt?
Am meisten haben wir mit Fahrradschläuchen gearbeitet und Stühle restauriert. Und in letzter Zeit haben wir unglaublich viel geschliffen; da wir gerade an Stühlen gearbeitet haben und an Tierfutterstationen bauen.

ist ein Projekt des Verbund Offener Werkstätten (VOW) e.V., gefördert durch die Drosos Stiftung in Kooperation mit der anstiftung.